Fahrbericht Bentley Continental GT V8: Nicht immer, aber immer öfter
Hamburg, 2014
Zylinderabschaltung, höhere Reichweite, mehr als ausreichend Drehmoment und Leistung. Die 4,8 Sekunden bis 100 km/h sind auch eine gute Antwort auf die Frage, ob ein Bentley nun wirklich zwölf Zylinder unter der Haube braucht.
Nein, braucht er nicht. Nostalgiker werden ein wenig traurig sein, obwohl der W12 keine nennenswerte Historie mitbringt. Wenn überhaupt dann ist der Drehmoment-König V8 6.75-Liter aus dem Mulsanne als Alternative interessant. 1.100 Newtonmeter, das klingt nach Überfluss und die mehr als 50 Jahre, die der V8 schon auf den Kurbelwellen hat, sind für den Nostalgiker allemal eine echte Ansage, auch weil die Ingenieure in Crewe dem L410 HT, so heisst der V8 intern, immer wieder ein paar Newtonmeter entlocken. Der 6.75-Liter V8 wird sicher keine Zukunft in der Continental-Familie oder dem Flying Spur erleben, vielmehr wird der 4.0-Liter V8 zum Standard-Motor der Baureihe.
Reden wir also über die 4.0-Liter V8-Biturbo-Maschine, die sich an die neue, jüngere Kundschaft heranmacht. Mit schlanker Sportlichkeit und dem unauffälligen Spar-Trick, also der Zylinderabschaltung, der eigentlich kein Trick ist und nicht wirklich die Reichweite des Wagens erhöht. Bentley erwähnt 800 Kilometer, allerdings erreicht man diese Distanz nur mit perfekter Streckenführung. Also ohne Steigung, ohne Bremsen und Beschleunigen und mit Tempo 120 im achten Gang. Genau das machen wir in unserem Testwagen. Die A7 Richtung Norden, kaum Verkehr, kaum Gegenwind und von Steigungen spricht man in dieser Gegend nicht. Steigungen findet man am Deich oder als Ausfahrt aus der Tiefgarage. Am Ende unserer fünf Testtage notieren wir einen Verbrauch von rund zehn Litern pro 100 Kilometer, es können leicht mehr werden, was niemand wundern wird. 507 PS wollen gefüttert werden und 2,3 Tonnen Leergewicht sind für eine asketische Lebensführung nicht wirklich hilfreich. Trotzdem ist der Brite ein gutes Beispiel für die sehr gute Arbeit der Entwickler in Ingolstadt, dort wurde der V8 entwickelt. Der Motor glänzt durch seine feine und sehr saubere Kraftentfaltung, die Laufruhe ist bemerkenswert, der Ausdruck dynamischer Fahrweise ist spürbar, aber nicht aufdringlich laut. Ein Bentley muss nicht schreien oder böse grollen.
Acht Gänge, ein variables Fahrwerk für die Wünsche der Besatzung. Mal hart und direkt, mal soft und easy für die Reise. Das GT steht tatsächlich für Große Fahrt, man findet kaum mehr Raum in einem anderen großen Coupé. Die Dämmung ist ausgezeichnet, wer regelmäßig in einem Bentley unterwegs ist, findet sich schnell mit der Konfiguration zurecht. Die Verarbeitung entspricht der Ersten Klasse der Auto-Welt. Ein Unterscheid zum W12-GT ist weder im Layout des Wagens noch im Innenraum feststellbar. Die Endrohre beim W12 sind oval, die des V8 wie eine liegende Acht geformt. Die linke und rechte Lüftungsöffnung des V8 an der Front ist im Vergleich zu denen des W12 ein wenig breiter, der Kühlergrill des V8 ist dunkel lackiert, der des W12 leuchtet silbern. Und die wichtigste Äußerlichkeit, das Label. Beim GT V8 ruht das B auf rotem Grund, beim W12 kann man vom Black Label sprechen. Erinnernungen an den Arnage werden wach. Wilde Zeiten, Übernahme. BMW und Volkswagen, Vickers und Rolls-Royce Ldt. Eine echte Story für Juristen und Historiker. Heute läuft alles seinen Weg. Bentley und Volkswagen. Eine Spur, sogar wieder mit Motorsport.
Im GT V8, dem Bentley mit dem Nimbus des jungen, schlanken Motors. Auf dem Datenblatt liegen beide nicht so weit auseinander. Der W12 kann das Coupé in seiner stärksten Variante bis Tempo 318 treiben, der V8 soll 306 schaffen. Beim Sprint liegen beide eine halbe Sekunden auseinander. Der W12 wird den V8 überholen, soviel ist sicher. Ob das als Differenzierung genügt?
Winterreifen sind Pflicht und damit Bremse auf dem Weg zum Top-Speed-Test. Die Bahn ist frei, 15 Grad Celisius, es ist trocken und der GT V8 könnte nun nach vorn rennen. Bis Tempo 250 geht das auch ganz locker, dann meldet der Monitor dass nun Winter sei. Man erinnert sich an die Armee. Ab Oktober wurde Winter befohlen. Der Brite muss sich an die Regel halten, man darf sich auf den Frühling freuen, egal wann er auf juristischem Wege erlaubt wird.
Ein Fazit, kein Vergleich. Man wird die Frage nach der Motorisierung stellen. Welcher denn nun? W12 oder V8? Der Benzinkonsum spielt eine Rolle, oder besser die Reichweite. Die Außenwirkung ist manchen Menschen wichtig. Den Großen oder den Kleinen? Die Formulierung ist falsch, weil beide große Coupés sind. Das Image, der Preis, der Wiederverkaufswert? Eine Rolle spielen alle diese Dinge, aber die beste Entscheidungshilfe ist die Fahrt. Der V8 wirkt motivierter, sehniger und auch kurzatmiger. Der vier Liter Motor holt nicht so tief Luft wie der W12. Das alles entspricht einer subjektiven Wahrnehmung.
Fotos: Ralf Bernert