Bentley Continental GT W12: Attacke aus Crewe 2012

Kaum ist der neue Continental GT in den Showrooms der Händler angekommen, freuen sich die Manager in Crewe. Von der Krise bleiben nur noch Erinnerungen, ein paar Charts mit eindeutigen Kurvenverläufen, dem Minus vor den Absatzzahlen wurde ein vertikaler Strich hinzugefügt. Bentley gibt wieder Gas und das mit Anlauf. 

Der Startknopf ist die Verlockung, ein Verführer. "Mach mich an!" Bevor man die zwölf Zylinder mit Leben füllt, den Defibrillator zwecks Stimulation der kontrollierten Zündung des benzin-Luftgemisches einsetzt, werden andere Reize angesprochen. Das Auge isst mit. Der neue Zweitürer hat zugelegt. An Linien, Kanten, Formen und auch an Kraft. Sein Designer, Dirk van Braeckel, hat dem Coupé ein markantes Schnittmuster gezeichnet, das die Stärken des Briten noch deutlicher nach Aussen kehrt, die Kräfte klarer definiert und den gesamten Body auf Linie getrimmt. Das Ergebnis mag auf den ersten Blick nicht jedem auffallen, der Kenner jedoch sieht die Verwandlung sofort.


Der Hand zeichnet die Linien nach. Aus drei Metern Entfernung läuft der Zeigefinger durch Luft, startet am Heck direkt hinter der Rückleuchte, läuft über die auffallend scharfe Kante dem Radlauf folgend bis zum Schweller und stoppt. Der Hinterwagen findet hier sein Ende, wenige Zentimeter neben der Türspalte. Weiter oben am Türgriff beginnt der Vorderwagen, die Schulterlinie endet am Radlauf unmittelbar vor der Frontschürze. Zwei Hälften des Bentley, die das Wort Coupé symbolisieren. Lange Front - kurzes Heck. 


Ganz vorn, die Kühlermaske noch klarer definiert durch den aufrecht stehenden Grill und die vier flankierenden Rundleuchten. Klassischer und klarer kann ein modernes Coupé aus Crewe kaum gezeichnet werden. Jeweils zwölf LED-Leuchten umrunden die Hauptscheinwerfer, als Zeichen der Moderne und auch als optische Referenz an das Dutzend Zylinder unter der Haube. Die Motorhaube wurde ebenfalls dank der erfahrenen Hand des Designers van Braeckel mit markanten Linien ein wenig feiner gestaltet. Der neue Continental wurde von vorn bis zur hinteren Rückleuchte einem Refreshing unterzogen, das dem Viersitzer nicht nur gut zu Gesicht steht sondern auch an seine Ahnen der 50er Jahre erinnert. Der legendäre R-Type, noch heute ein Synonym für Eleganz und Sportlichkeit auf höchstem Niveau lässt grüßen. Eine derart scharfe Kante wie sie der neue GT aus Crewe aufgelegt hat, hätte man allerdings damals nicht schneidern können. Ein neues Verfahren namens Super Forming ermöglicht den Briten dieses Niveau der Blechformung. Das Aluminium wird dabei bis auf 500 Grad Celsius erwärmt und dann durch Luftdruck in die entsprechende Form gebracht.


Die Anmache - die Verführung - die Emotion - die Stille. Der W12 erwacht nicht sanft, nicht mit verschlafenem Gähnen oder gar wie ein Morgenmuffel. Der W12 und seine Kollegen unter der Haube stehen parat, schlagen die Hacken zusammen und warten auf Befehle oder besser auf Kommandos. 575 PS, 700 Newtonmeter, Allrad-Antrieb und so weiter. Hinter dem Lenkrad werden diese Daten zunächst zur Theorie. Edles Leder, sehr gutes Holz und insgesamt die Messlatte für Qualität und Stil auf Rekordniveau gelegt. Der neue GT gibt dem Fahrer keine Rätsel auf, man freut sich über Accessoires der besonderen Art. Ein Alu-Aschenbecher und ein sehr feines Brillenetui fallen schnell ins Auge, auch wenn man bereits vom Vorgänger verwöhnt wurde. Vielleicht wünscht man sich für die Zukunft Schaltwippen, die mit der Lenkbewegung mitlaufen. Dirk van Braeckel erzählt, dass man in Crewe diese Problematik diskutiert habe, hier trafen wohl zwei Philosophien aufeinander. 


Die Verführung lauert ständig. "Anmachen reicht nicht!" In Le Mans stehen die Ampeln auf Rot und dann kreischen die Motoren. In Hamburg folgt Gelb, dann Grün und dann folgt die Souveränität. Der Continental kann wie ein sehr gut erzogener Hund auch ohne Leine bei Fuß laufen. Gelassen, in aller Ruhe und immer bereit. Aus dem Stadthund kann der Windhund werden. Aus dem Stand nach vorn schiessen und dann wie ein Schlittenhund ausdauernd und kraftvoll Kilometer verschlingen. Dazwischen werden Kurven aufgesogen und weiter hinten ausgespuckt, bei Pferden sagt man sie gehen gut am Maul, der Bentley lenkt sauber ein, er wankt nicht, sitzt mit allen vier Rädern sehr sauber auf der Strasse, er könnte auch Serpentinen erobern und ist trotz seiner beachtlichen Masse ein sehr wendiger Wagen. 


Kulissensuche in Hamburg. Die Hafencity als gigantische Baustelle mit sich ständig veränderndem Gesicht. Ein Gebäude drängt sich auf. Als Kontrast, als perfekter Hintergrund für die ruhige Emotionalität des Briten. Der GT spielt mit den Muskeln, lässt seine Kräfte nur hier und da aufblitzen und scheint die Rolle des Models gerne anzunehmen. Das Gebäude bleibt im Hintergrund. Am Flughafen die gleiche Szene, Dynamik und Bewegung liegen hier in der Luft, der Bentley scheint zu warten. 


Stille zwischen den Bäumen. Irgendwo bei Lübeck, ein kleiner Feldweg rechts der Landstrasse. Die 2,3 Tonnen rollen in aller Ruhe auf dem Naturteppich. Zwischen den Stämmen und Büschen spielen die Kanten des Bentley ihre Stärken aus, brechen die sich spiegelnden Baume und fügen sie auf der Windschutzscheibe wieder zusammen. Viele Autos sind hier im Wald eher Störenfriede, der Brite scheint eher ein geduldeter Gast zu sein. Der Förster fand ihn sehr elegant und dank seines Allradantriebes ziemlich interessant, die Verwaltung werde aber ein solches Investment lieber nicht in Erwägung ziehen. Den Steuerzahler wird´s freuen, der Förster würde nur zu gerne mit dem Bentley zur Arbeit gleiten. 


Abgabe in Hamburg, ein potenzieller Kunde beim Händler am Flughafen erkennt den neuen Bentley auf Anhieb. "Der wird ein Renner." Ein Satz liegt auf der Zunge. "Das ist er schon."    



Im Kontext

Fahrbericht: Bentley Mulsanne

Fahrbericht: Azure T

Fahrbericht: Continental GTC



TECHNISCHE DATEN (laut Hersteller):

Motor: W12-TwinturbomotorLeistung: 423 kW / 575 PS bei 6000 U/min

Drehmoment: 700 Nm bei 1700 U/min

Getriebe: 6-Gang-ZF-Automatikgetriebe mit Quickshift und Lenkrad-Schaltwippen 

Antrieb: Allrad (immer 40:60 vorne/hinten)

Radstand 2.746 mm

Gesamtlänge 4.806 mm

Breite (zwischen Karosserieseiten) 1.944 mm

Breite (einschl. Außenspiegeln) 2.227 mm

Gesamthöhe 1.404 mm

Kraftstofftank 90 Liter

Kofferrauminhalt 358 Liter

Leergewicht (EU) 2.320 kg

Zulässiges Gesamtgewicht 2.750 kg

Höchstgeschwindigkeit: 318 km/h

0 – 100 km/h: 4,6 s 

0 -160 km/h: 10,2 s 

50 – 80 km/h: 1,7 s

80 – 120 km/h: 2,9 s

Verbrauch: 16,5 l/100 km (kombiniert)

CO2 Emissionen 384 g/km EU 5 


Text: Ralf Bernert

Fotos: Ralf Bernert



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